Sidestory zur Thriller-Trilogie: Kapitel 1

Und wieder bin ich auf der Suche nach einer neuen Heimat. Oder zumindest nach einer Stadt, die einer Heimat so nahe kommt, wie es momentan möglich ist. Ein richtiges Zuhause werde ich wohl so schnell nicht mehr finden. Auch wenn Dylan und ich immer mehr Beweise finden, zweifelt mein Inneres noch daran, dass ich die Flucht lange genug überlebe, um Keegan und Rollins das Handwerk zu legen.
Doch dieser Gedanke führt zu nichts. Es bringt niemanden etwas, wenn ich in Selbstzweifeln versinke. Nicht Hanna, nicht der kleinen Emma und auch nicht meiner Mom. Ich MUSS überleben und meine Unschuld beweisen – wenn schon nicht für mich, dann für meine Familie. Also muss ich nach vorne schauen. Ich muss bei klarem Verstand bleiben, die nächsten Schritte planen.
Es ist mitten in der Nacht und die Lichter der einzelnen Dörfer und Städte rauschen nur so an mir vorbei. Schon lange habe ich aufgehört, die Ortsschilder zu beachten, die ich passiere. Ich fahre einfach weiter. Immer weiter, bis ich nicht mehr weiß, wo ich bin. Denn dann weiß hoffentlich auch niemand sonst, wohin ich geflohen bin. Wieder mal.

Als die Sonne nach Stunden der Dunkelheit endlich aufgeht, bin ich in einer Stadt angekommen, deren Namen ich mir nicht einmal gemerkt habe. Aber es scheint ein Touristenort zu sein, denn ein Hotel reiht sich ans nächste. Hier sollte ich leicht eine Unterkunft finden. Hoffentlich ist sie auch bezahlbar. Aber immerhin wird sich niemand wundern, warum ich so früh am Morgen einchecken möchte. Ich werde mich einfach unter die Touristen mischen und mich unauffällig verhalten. Dann kann ich mir überlegen, wie es weitergehen soll.
In einer Seitenstraße entdecke ich ein kleines Hotel, das gemütlich und bezahlbar aussieht. Ich parke mein Auto drei Parallelstraßen weiter auf dem Gästeparkplatz eines anderen Hotels. So können meine Verfolger nicht sofort die richtige Unterkunft ausfindig machen, sollten sie mir auf die Spur kommen.
Nachdem die Schlüsselübergabe an der Rezeption reibungslos verlaufen ist – das Hotel hatte nicht einmal Überwachungskameras –, kann ich endlich auf mein Zimmer, wo ich mich todmüde aufs Bett fallen lasse. Nur die Schuhe und meine Jacke ziehe ich noch aus, bevor ich mich unter die Decke kuschle. Auch wenn mein Innerstes noch aufgewühlt ist, bin ich doch viel zu müde, um noch länger wach zu bleiben. Ich falle in einen tiefen Schlaf, aus dem ich gegen Mittag schweißgebadet aufwache. Ein Albtraum über Keegan und Rollins – nicht zum ersten Mal.

Um meinen Kopf freizubekommen, gehe ich kurz unter die Dusche, obwohl das für die frische Naht an meiner Schulter wahrscheinlich nicht gut ist. Nach dem Abtrocknen und Anziehen trage ich mir dick Make-up auf und setze mir meine blonde Perücke und eine Sonnenbrille auf. So getarnt wage ich mich hinaus auf die Straße. Ich muss dringend einen Job finden. Im Zentrum der Stadt entdecke ich eine kleine Kirche, in der ich mich für einen Moment zurückziehe.
Von innen sieht die Kirche viel größer aus, als ich zuerst angenommen habe, ja sogar richtig majestätisch. Dieser Eindruck wird vor allem dadurch verstärkt, dass die Kirche gänzlich leer ist. Genau so wie ich gehofft hatte. Ich setze mich in eine Bank und genieße diese besondere Stille. Wie von selbst schließen sich meine Augen und plötzlich erfüllt mich ein tiefer Friede, den ich selbst in den glücklichsten Stunden nicht für möglich gehalten hätte. Und hier, auf der Flucht, ist dieses erfüllende Gefühl mit einem Mal da. Das erscheint mir fast unmöglich, es ist ein Wunder und ein ganz besonderes Geschenk. Was würde Dylan wohl sagen, wenn ich ihm jetzt davon erzählen könnte? Würde er meinen inneren Frieden auf Gott zurückführen? Und wenn ja, wäre das so abwegig? Wer außer dem Schöpfer der Welt könnte eine solche Ruhe auslösen – und dann noch während des Kampfs meines Lebens?
Eine ganze Weile hänge ich diesen Gedanken nach, doch irgendwann wandelt sich der Friede in Unruhe. Ich kann nicht länger still sitzen, nicht länger über Dinge nachgrübeln, deren Antwort ich doch nicht finde. Auf dem Weg zur großen Kirchentür entdecke ich eine Wand mit Aushängen. Neugierig trete ich näher. Die unterschiedlichsten Aktivitäten und auch Gebetsanliegen der Gemeinde sind dort angepinnt. Es gibt sogar einen Bereich, in dem Jobangebote aus der Gemeinde aufgelistet sind. Vielleicht ist ja eine Arbeitsstelle für mich dabei. Das Geld könnte ich sehr gut gebrauchen.
Sogleich fällt mir ein Angebot ins Auge: eine Teilzeitstelle als Kellnerin in einem Café, das die Familie Greenspan seit drei Generationen führt. Die Vergütung ist zwar nicht sonderlich hoch, aber immerhin besser als nichts. Und Gäste freundlich zu bedienen, bekomme ich auf jeden Fall hin. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie habe ich ein gutes Gefühl dabei. Das wird mein neuer Job.
Voller Tatendrang tippe ich sofort die angegebene Telefonnummer in mein Wegwerfhandy ein – danach muss ich mir wohl mal wieder ein neues kaufen. Gerade als ich auf den grünen Hörer drücken möchte, fällt mir ein, dass ich ja noch in der Kirche bin. Wahrscheinlich kein geeigneter Ort, um sich am Telefon auf Jobinserate zu melden. Auch wenn niemand hier ist, den ich stören könnte, verlasse schnell und leise die Kirche.

 

Zum Rätsel
Zu Kapitel 2 (auf dem Blog malins bookworld)
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